Freitag, 14. November 2008

Offener Brief an Prof. Dr. Friedrich Thießen

Herrn Prof. Dr. Friedrich Thießen

Technische Universität Chemnitz

Fakultät für Wirtschaftswissenschaften

09107 Chemnitz



Berlin, den 14. Nov. 2008,


Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Friedrich Thießen,


Mit reichlicher Verspätung, dafür aber um so herzlicher, möchte ich Ihnen hiermit zu Ihrer genialen "Hartz-IV-Studie" gratulieren, die doch genau das erreicht hat, was Sie und Ihre Spießgesellen damit bezwecken wollten: nämlich das paralysierte deutsche Volk aus ihrem Koma zu erwecken, um das triste Leben in unserem Land endlich wieder mit demokratischer Streitkultur zu erfüllen. Die von Ihnen zur Schau gestellte Frivolität erinnert mich ungemein an Ulrich von Huttens "Dunkelmännerbriefe". Waren es damals die dumm-dreisten, prassenden Mönchen und Pfaffen, denen auf satirische Weise tüchtig aufs Maul gehauen wurde, so spucken sie heute dem sich pseudo-demokratisch gebärdenden Neoliberalismus in die verlogene Fratze, indem sie ihm die heuchlerische Maske vom Gesicht reißen. Für diesen Mut gebührt Ihnen und Ihren assistierenden Kollegen meine allergrößte Hochachtung. Wahrlich, ein bravouröses Husarenstückchen!

Als wahre Streitschrift verstanden, ist Ihrem gelehrten Werk mindestens die selbe große historische Bedeutung beizumessen, wie den (wahrscheinlich in Wirklichkeit nie stattgefundenen) Thesenanschlägen Martin Luthers oder dem "Kommunistischen Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels. Dass sie sich für Ihre revolutionäre Tat die Technische Universität in Chemnitz aussuchten, verdient zusätzliches Lob, schließlich ist ja der eigentliche Namen von Chemnitz immer noch Karl-Marx-Stadt.

Besser wäre es m.E. jedoch gewesen, Ihre kabarettistische Parodie erst am 11.11. pünktlich zum Einläuten der Narrenzeit zu veröffentlichen. Doch das tut eigentlich nicht viel zur Sache.

Leider musste ich als akademischer Hungerkünstler feststellen, dass Ihre monatlich veranschlagten Regelsätze pro menschlicher Einheit immer noch reichlich hoch ausgefallen sind. Im Selbstexperiment konnte ich nachweisen, dass ein leidensgeprüftes Individuum, wie ich eines darstelle, durchaus mit 2 belegten Brötchen pro Tag und insgesamt 2 warmen Mahlzeiten in der Woche auskomme, ohne mit ernshaften gesundheitlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Ich kam also auf folgenden persönlichen Grundbedarf pro Woche:


2 x 1 belegtes Brötchen pro Tag à 95 Cent (15 Cent das Trockenbrötchen + 2x Aufschnitt à 40 Cent) = 1, 80 € x 7 = 12,60 € Bedarf an belegten Brötchen/Woche.

+ 2 x 1 warme Mahlzeit/Woche à 2 € (da wollen wir mal etwas großzügiger sein!) = 4 €.

Summa summarum Essensbedarf pro Woche: 16,60 €.


Der Bedarf an Getränken könnte normalerweise mit 0 Cent/Woche veranschlagt werden, denn das Leitungswasser in Deutschland ist i.a. recht gut. Außerdem gibt es genügend öffentliche Toiletten, wenigstens in den Städten. Aus gewissen taktischen Gründen, die sie sicherlich gut verstehen werden (z.B. einsetzbar zur planmäßigen Lebensverkürzung des zu betreuenden homo precarius) würde ich aber dazu raten, auch Alkohol in angemessener Menge zu verschreiben. Mit 2,10 €/Tag käme man m.E. schon ziemlich weit. = 14,70 €/Woche (der größte Posten in meiner Rechnung!).

Der Gesamtbedarf für Essen und Trinken betrüge demnach: 31,30 € x 4 Wochen =124,60 €/Monat.

Die fehlenden 2-3 Tage pro Monate übersehe ich mal großmütig, schließlich sollte jeder vernünftige Mensch, der um seine Gesundheit bemüht ist, auch ab und zu mal fasten.

Für Pflege, Bekleidung und all den anderen Schnickschnack (auf den man entweder ganz verzichten sollte bzw. den man sich auch leicht erbetteln kann) setze ich 5,40 €/Monat an, damit die Rechnung auch ganz rund aufgeht.

Damit komme ich auf einen Gesamtmonatsregelsatz von sage und schreibe phänomenalen

130 €/Monat, und zwar streng nach Adam Ries berechnet!


Außerdem stellte ich einige Berechnungen zum Lebensbedarf akademischer Individuen auf, die ich Ihnen bei Interesse auch gerne im Detail nachreichen werde.

Für Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschafter kam ich dabei durchweg auf einen Monatsgehalt von max. 500 €. Als begünstigender Nebeneffekt käme sogar noch eine zu erwartende Leistungssteigerung von ca. 30 % pro errechneter Einheit hinzu. Dabei stellte sich bei meinen mit Akribie durchgeführten Studien heraus, dass der Einfluss des Intelligenzquotienten in Akademikerkreisen eine erstaunlich geringe Rolle spielt und deshalb im Normalfall (genauso wie der akademische Grad) vernachlässigt werden kann. Vielmehr brachte die Distanzverringerung zum homo precarius, die die Feldforschung ungemein begünstigen, in allererster Linie diese erstaunlich postiven Resultate.

Historiker und Philosophen kosten unserem Staat leider etwas mehr, nämlich ca. 800 €/Monat. Sie sind eben in ihrem privaten Leben i.a. weniger praxisnah und etwas altmodisch eingestellt als ihre preiswerten Universitätskollegen aus dem sozialen Fach. Man sollte also ihre Anzahl in den nächsten Jahren weiterhin drosseln.

Am meisten Geld kosten aber immer noch die Theologen. In der Mehrzahl handelt es sich dabei um notorische Weinkonsumenten, die i.a. auserlesene Sorten bevorzugen. Das kostet natürlich ihren Gemeindekassen viel Geld. Doch sollten wir in einer von christlichen Werten erfüllten Gesellschaft wie Deutschland in diesem Falle Gnade vor Recht ergehen lassen, denn wer weiß, für was wir dereinst noch einmal ihren geistlichen Beistand gebrauchen.

Ich hoffe sehr, das ich Sie mit meinen anspruchsvollen wissenschaftlichen Ausführungen nicht übermäßig gelangweilt habe und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Ihr akademischer Kollege