Sonntag, 27. September 2009

Aufruf zur Rettung des demokratischen Staatswesens in Deutschland

(1)Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2)Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. [...].
(3)Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4)Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(Art. 20, 1-4 GG).

Im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz werden hiermit alle noch im Lande existierenden Bürger mit einer demokratischen Grundgesinnung zum Widerstand gegen die verfassungsfeindlichen Hartz IV-Gesetze und den hinter ihnen stehenden imperialistischen Agenten, die seit längerer Zeit unsere demokratische Grundordnung unterwandert haben, aufgerufen,. Durch die Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze und andere antidemokratischer Maßnahmen ist es den derzeit Herrschenden gelungen, quasi einen Staatstreich von oben zu vollziehen. Widerstand dagegen ist das Recht und erste Pflicht eines jeden deutschen Staatsbürgers. Dieser zu leistende Widerstand sollte natürlich mit dem (derzeit noch gültigen Grundgesetz) in Einklang stehen.

Wir fordern hiermit:
Die sofortige Auflösung und den Verbot des Arbeitsagenturen in der gegenwärtigen Organisationsform, da sich diese als terroristische Organisation entpuppt hat. Millionen von Arbeitslosen werden von dieser Organisation willkürlich schikaniert und marginalisiert sowie an der Ausübung ihrer im Grundgesetz garantierten staatsbürgerlichen Grundrechte gehindert. Damit nicht genug, ihnen werden Ehre und Hoffnung geraubt. Ohne Anklage und Beweise werden sie unter „Generalverdacht“ gestellt und wie Kriminelle behandelt und überwacht.
Einem jeden verurteilten Verbrecher werden in unserem Lande gewisse unveräußerliche Grundrechte zugestanden. Zu diesen gehören z.B. die Zurfügungstellung eines geheizten Wohnraums, die Gewähr von drei Mahlzeiten pro Tag sowie eine ausreichende kostenlose ärztliche Versorgung. Dieses extreme Existenzminimum wird aber einer ganzen Reihe von Opfern der Terrororganisation „Arbeitsamt/Arge“ durch willkürliche Sperrungen von Geldern u.ä. Maßnahmen entzogen. Dies stellt eine eindeutige Verletzung von Art. 1, Absatz 1 des Grundgesetzes dar, der da lautet:
Die Würde des Menschen ist unantasttbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.

Zudem muss ein Verstoß gegen die Bewegungsfreiheit konstatiert werden. Nach Art. 11, Absatz 1 GG heißt es nämlich:
Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

Art. 11, Absatz 2, der eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts für Fälle vorsieht, bei denen keine ausreichende Lebensgrundlage vorhanden ist, darf nicht angewendet werden, da durch die zu gewährende Freizügigkeit weder besondere Lasten für die Allgemeinheit entstehen noch die Abwehr einer drohenden Gefahr zu befürchten ist. Einziger Grund für die Einschränkung der Freizügigkeit durch die Terrororganisation ist die Absicht, ihre Opfer zu demütigen und zu bestrafen.

Auch gegen Art. 2, Absatz 1 des GG wird in vielen Fällen eklatant verstoßen, Im Grundgesetz heißt es nämlich:
Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit [...].

Gegen dieses Recht wird auch dadurch verstoßen, dass Millionen von Arbeitnehmern durch die Zahlung von Hungerlöhnen, die weit unter dem Existenzminimum liegen, eine gerechte Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben verwehrt wird.
Außerdem ist festzustellen, daß der von den Arbeitsämtern/Arge ausgeübte Zwang zur Annahme von Zeitarbeitsjobs gegen die Menschenrechte verstößt, da es sich bei diesen um eine Art von Zwangsarbeit handelt.

Wir fordern deshalb:

  1. Eine sofortige Zurücknahme aller verfassungswidrigen Gesetze und Erlasse, die in den letzten Jahren dem Volke willkürlich aufoktroyiert wurden.

  2. Alle Abgeordneten der Legislative, die ihre Pflichten als Repräsentanten des Volkes durch eine Beteiligung an der Verabschiedung demokratiefeindlicher Gesetze verletzt haben, sollen aus dem Parlament und allen anderen demokratischen Gremien ausgeschlossen werden.

  3. Alle Politiker der Exekutive, die dabei mitgeholfen haben, demokratiefeindliche Gesetze zur Anwendung zu verbringen, müssen sofort aus ihren Ämtern entfernt und durch unbescholtene Nachfolger ersetzt werden.

  4. Alle Beamten und Bürokraten, die gegen ihre Gewissenspflicht verstossen und sich widerstandslos zu Schergen des Unrechtsregimes degradiert lassen haben, müssen aus ihren Ämtern entfernt und ggf. strafrechtlich belangt werden.

  5. Um die Demokratie in unserem Lande zu retten ist es unbedingt notwendig, eine wirklich demokratische Verfassung zu erarbeiten. Die derzeit Herrschenden unterließen es bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990, wie eigentlich vorgesehen, eine gesamtdeutsche Verfassung zu erlassen. Stattdessen wurde kritiklos das alt-bundesdeutsche Grundgesetz übernommen. Deshalb ist die derzeitige Regierung Merkel lediglich als „provisorisch“ zu bewerten und muss umgehend durch eine wirklich vom Volk legitimierte Regierung ersetzt werden.

  6. Um dies zu verwirklichen, muss schnellstmöglich eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen werden, deren Repräsentanten durch Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung zu bestimmen sind.

  7. Bis zum Inkrafttreten einer demokratisch legitimierten Regierung soll eine amtierende „vorläufige Regierung“ die Amtsgeschäfte übernehmen. Deren Mitglieder sollen durch einen schleunigst einzuberufenden Runden Tisch (bestehend aus Vertretern aller gesellschaftlich relevanten Klassen und Schichten, die sich zur Demokratie bekennen müssen) bestimmt werden.

  8. Paranoia-verdächtige Mitgliedern der alten Regierung sollen von Anfang an von jeder weiteren politischen Betätigung ausgeschlossen und einer psychatrischen Behandlung zugewiesen werden.

  9. Die Einführung eines menschenwürdigen Mindestlohnes sowie die Zahlung eines existenzsichernden Bürgergeldes für alle Nichterwerbstätigen ist für die Durchsetzung einer demokratischen Gesellschaftsordnung unabdinglich und muss schnellsten durchgesetzt werden. Die kapitalistische Ausbeuterklasse hat hierfür ihrer im Grundgesetz verankerten Verpflichtung ohne wenn und aber nachzukommen. (gemäß Art. 14, Absatz 2 GG: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen).

  10. Anstelle des Arbeitsamtes/Arge soll eine Arbeitsförderungsagentur geschaffen werden, der es nicht mehr zusteht, sich um die finanziellen Belange ihrer Kunden zu kümmern, sondern die sich ausschließlich um die Vermittlung von Arbeitsplätzen für die von der Arbeitslosigkeit Betroffenen kümmert. Oberstes Grundprinzip der Ärbeitsvermittlung ist die Freiwilligkeit. Disziplinar- und Strafmaßnahmen gegen die Leidtragenden sind nicht mehr vorgesehen, da soziale Betrugs- und Straffälle fortan ausschließlich durch ordentliche Gerichte vorgenommen werden dürfen.



Demokratische Staatsbürger! Erwacht endlich aus eurer Lethargie und helft mit, ein wirklich demokratisches Gemeinwesen aufzubauen.

Berlin i.Erzg., den 20. Sept. 2009.

Stefan Sterni Mösch
Gen.sekr. der KPdSU (Krikikistische Partei der Sozial Unterdrückten)

Mittwoch, 10. Juni 2009

Das Tischlein

Das Märchen von Bruno und seinen drei Söhnen, die auszogen, um ihr Glück in der Fremde zu suchen

1

Es war einmal vor gar nicht allzulanger Zeit, da lebte ein Mann in einem Erzgebirgsdorf, der hatte drei Söhne aber keine Frau mehr, denn die war ihm vor vielen Jahren durchgebrannt. Bruno Sorge, so hieß der brave Mann, arbeitete als Heizer in drei Schichten im VEB Arsenwerke der nahe gelegenen Kreisstadt, und da er ein fleißiger Arbeiter war und zudem auch als anständiger, vom realen Sozialismus überzeugter Staatsbürger alle vier Jahre ohne Murren bereits in den frühen Morgenstunden zu den Wahlen ging, um den Kandidaten der Nationalen Front seine Stimme zu geben, bekam er nach geraumer Wartezeit mit Unterstützung seiner Betriebsgewerkschaftsleitung eine Dreizimmer-Neubauwohnung bei der AWG auf seinem Dorf.

Seine Arbeit im Betrieb war zwar hart, staubig und gesundheitsschädigend, doch war er als ein bescheidener Mensch mit seinem Leben im großen und ganzen zufrieden. Nachdem der Bürgermeister schließlich bei der Kreisparteileitung durchgesetzt hatte, dass auf dem die Ortschaft überragenden Schwalbenberg ein kleiner Fernsehturm errichtet wurde, um ihm selbst und der übrigen Dorfbevölkerung den Empfang der wichtigsten Westprogramme zu ermöglichen, war Bruno vollends mit seinem Schicksal ausgesöhnt und freute sich bloß noch auf seine Rente, die er voraussichtlich ab dem Jahre 1995 beziehen würde. Damit er dann auch wirklich seinen Lebensabend ohne alle finanzielle Sorgen genießen könne, hatte er schon beizeiten eine Zusatzrentenversicherung abgeschlossen.

Leider führte der übermäßige Genuß der Westprogramme seiner drei Söhne Gerhard, Anton und Benno dazu, dass diese immer mehr auf die schiefe Bahn gerieten. Während ihrer Lehre im VEB Arsenwerke, wo sie ihr vorsorglicher Vater in der Produktion untergebracht hatte, gab es immer wieder Beschwerden über sie bei der BGL und der Betriebsleitung, und nur dem hohen Ansehen Brunos als bereits dreimal als Aktivist und einmal als sozialistischer Neuerer ausgezeichneter langjähriger Betriebsangehöriger war es zu verdanken, dass letztendlich doch noch einer nach dem anderen seine Facharbeiterprüfung erfolgreich bestehen konnte. Brunos innerbetriebliches Prestige als Neuerer hatte auch den entscheidenden Ausschlag für die überraschend positiv ausgefallene Beurteilung der Lehrlingsprüfungskommission gegeben. Als Kassierer der monatlichen Beiträge für die „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ hatte Bruno nämlich vor einigen Jahren den Vorschlag gemacht, dass seine Brigade zukünftig nach der Nina Nasarowa-Methode arbeiten solle, was nach seinen eigenen Berechnungen eine jährliche Produktionssteigerungsrate von 20 % ausmachte. Dieser Zuwachs wurde von da an stetig beigehalten, obgleich die dafür benötigten Berechnungen eines immer höheren mathematischen Schwierigkeitsgrades bedurften.

Doch Undank ist der Welt Lohn: anstatt sich für die Unterstützung ihres Vaters zu bedanken, beschimpften diese ihn immer wieder als „ stupide schuftenden Esel“ - und ihren eigenen Betrieb, der sie seit dem zartesten Knabenalter alle Jahre wieder während der Sommerferien in das Pionierlager am nahe gelegenen Kunstteich verfrachtet hatte, verhöhnten sie als „Umwelt verpestende Giftbude“.

Noch schlimmer gestalteten sich ihre Gelagen an den Wochenenden im Dorfjugendclub, wo sie überreichlich Alkohol konsumierten, um dann nach Mitternacht den redlich verdienten Schlaf der Dörfler im weiten Umfeld mit lautem Krakeele, Zaunslatteneinknicken und ähnlichen bösen Streichen zu stören. Auch hier war es wieder Bruno, dem es gelang, durch ein beschwichtigendes Wort gegenüber seinem Bürgermeister und Skatbruder Roland Seidel, zu verhindern, dass seine drei Bengel durch die Schiedskommission zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit in den städtischen Tierpark abdelegiert wurden. Am verderblichsten trieb es Benno, der jüngste, der sich trotz aller väterlicher Ermahnungen und Flüche mit siebzehn Jahren schulterlange Haare und einen Vollbart wachsen ließ. Auf seinem Sonett-Kassettenrecorder hörte er zu allem Überdruss auch noch regelmäßig bis spät in die Nacht hinein penetrante amerikanische Hippiemusik, und zwar auf Feindsendern wie dem RIAS oder Bayern III. Das kostete Vater Bruno, der allenfalls das dezente Hören von weiß-blauer Blasmusik auf Bayern I in seinem Wohnzimmer zu tolerieren bereit war, gehörig Nerven. Zudem gestaltete sich der Hausfrieden mit den feinhörigen Nachbarn über die Jahre immer schwieriger, die durch die dünnen Hauswände gezwungen waren, sich den ganzen angloamerikanischen Krach mit anzuhören. Doch trotz aller Ermahnungen erntete der gute Alte kein Gehör bei seinen missratenen Söhnen, die sicherlich schon unter schweren Hörschäden litten.

Die Konsequenzen für ihr bösartiges Tun sollten Brunos Söhne jedoch recht bald zu verspüren bekommen. Ohne ihm das geringste mitzuteilen, hatten diese nämlich klammheimlich einen Antrag auf Ausreise in die BRD gestellt. Erst durch seinen Kaderleiter wurde Bruno über die antisozialistischen Aktivitäten seine „Kuckucksbrut“ informiert. Ohne zu zögern unterschrieb er natürlich sogleich die ihm vorgelegte Willenserklärung, mit der er sich ein für allemal von ihrem schändlichen Tun distanzierte. Danach dauerte es glücklicherweise nicht mehr allzu lange, bis seine Söhne einer nach dem anderen in den Westen abgeschoben wurden, wo man sicherlich bloß auf solche Rabauken aus dem Osten gewartet hatte.


2

Drei lange Jahre vergingen, in denen Bruno nicht das mindeste von seinen Söhnen hörte. Anfänglich waren zwar einige Briefe aus dem Westen in seinem Briefkasten gelandet, diese hatte er aber alle nach pflichtgemäßer Informierung seines Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei ungelesen in den Müll geworfen. Schließlich vertrugen sich mit seiner verantwortungsvollen Tätigkeit als Heizer keine Westkontakte, und sei es auch nur mit engen Verwandten.

Als dann im Herbst 1989 die Mauer fiel, gehörte Bruno zu denjenigen Bürgern, die die neu erkämpfte Freiheit lautstark begrüßten, denn auch er war ein Opfer des gestürzten Terrorregimes gewesen, das einem sogar sein eigen Fleisch und Blut gestohlen hatte. Mit Wehmut erinnerte er sich wieder seines Vaters, der als Angehöriger der Waffen-SS im tiefsten Rußland gefallen war. Nun endlich war auch er, Bruno Sorge, von den Russen befreit! Als neu erweckter Christ, der auch zu DDR-Zeiten nie offiziell aus der Kirche ausgetreten war (mit der Kirchensteuer hatte man es ja die ganzen Jahre über glücklicherweise nicht so genau genommen!), machte er bei den nun folgenden freien Wahlen sein Kreuzchen immer an der richtigen Stelle. „Nie wieder sozialistische Experimente!“ - dieser Wahlslogan war ihm so recht aus der Seele gesprochen und natürlich war er auch anwesend, als Prinz Albert der Zuspätgeborene eigens aus dem Westen herbeigereist kam, um das Dorf mit bayerischer Blasmusik, Militärmärschen und Weißbier zu erfreuen. Neuer Bürgermeister wurde erwartungsgemäß Werner Seidel, der Cousin des gefeuerten Ex-Dorfoberhauptes und Brunos alten Skatbruders Roland. Die Seidels gehörten schon seit über vierhundert Jahren zur Dorfobrigkeit, seitdem ihr berüchtigter Vorfahr Brandus Seidelius durch Unachtsamkeit (oder war es Pyromanie gewesen!?) fast die gesamte alte Amtshauptstadt abgefackelt hatte und zur Strafe dafür mit seiner gesamten Sippe auf ewig in den erzgebirgischen Busch verbannt wurde, den man auf diese Weise kostengünstig zu roden hoffte. Bereits wenige Jahre später wurde in der Dorfchronik die Gründung der ersten Freiwilligen Feuerwehrbrigade erwähnt. Die Seidels aber übernahmen seither den Posten des Dorfältesten, des Dorfschulzen und schließlich auch des gewählten Ortsbürgermeisters. Weltkriege und andere Katastrophen hatten keineswegs vermocht, die fest gefügten hierarchischen Herrschaftsverhältnisse im Dorfe zu verändern. Ob es dereinst den himmlischen Heerscharen zum Jüngsten Gericht gelingen wird, ist ebenfalls noch keineswegs sicher.

„Alles neu macht der Mai“ heißt es so schön im Volksliedtone, und es war auch im Wonnemonat Mai des Jahres I der westdeutschen Fremdherrschaft, als plötzlich ein Riesentrucker, dessen Aufsatz bis zu Brunos Küchenfenster im ersten Stock reichte, plötzlich vor der Haustüre seines Neubaublocks haltmachte. Obwohl es ein Diensttagvormittag war, saß Bruno Trübsinn blasend auf seinem Wohnzimmerkanapee, denn sein Betrieb hatte ihm kurz zuvor vorübergehend beurlaubt bzw. in die „Warteschlange“ versetzt, wie man das in letzter Zeit so schön formulierte, da seine Arbeit als Heizer wegen des drastischen Produktionsrückgangs dort nicht mehr gebraucht wurde. Aus dem Führerhaus stieg ein junger kräftiger Mann, der zugleich ins Haus eilte, um an Brunos Türe Sturm zu klingeln. Bruno konnte sich vor Freude kaum fassen, als er im Hausflur auf seinen längst verloren geglaubten ältesten Sohn Gerhard prallte, der sich wahrlich zu einem Prachtexemplar von Truckerfahrer entwickelt hatte. Nach herzlicher Umarmung wurde Gerhard ins väterliche Wohnzimmer geführt, wo man bei Kaffee und Kuchen die nächsten beiden Stunden zusammensaß, um sich über all das in den letzten Jahren erlittene Unrecht zu unterhalten. Als Gerhard am späten Abend endlich ging, nicht ohne seinem lieben Vater vorher versprochen zu haben, ihn fortan regelmäßig zu besuchen, da war man wieder vollends ausgesöhnt. Die Einhaltung seines Versprechens fiel Gerhard nicht übermäßig schwer, da er als Fahrer für den neu gegründeten Feinkostversand „Huber-Spezi“ arbeitete, der seit kurzem das ausgehungerte Erzgebirge mit Qualitäts-Wurst- und Fleischwaren aus dem Frankenland en masse versorgte. Es war ihm also ein leichtes, seinen Chef davon zu überzeugen, ihn zukünftig ausschließlich für die Ostroute einzusetzen. So kam es, dass Gerhard seinen Vater nun mindestens einmal in der Woche besuchen konnte, und nie vergaß er dabei, seinen guten Alten mit schweren Fresspaketen zu versorgen, die er bei seinem Chef Hugo Huber gewissenhaft als „Bruch“ für die Versicherung deklarierte. Nach einem halben Jahr zog Gerhard wieder in seine alte Heimat zurück, an der er schon immer mit ganzem Herzen gehangen hatte.

Ungefähr einen Monat später, im Juni - Bruno war inzwischen von seinem Betrieb fristlos entlassen worden und hatte sich auf dem Arbeitsamt arbeitslos melden müssen – klingelte es eines Samstags abends wieder an der Haustüre. Bruno betätigte voller Missmut seinen erst vor kurzem eingebauten automatischen Türöffner, in der Erwartung eines Teppichhändlers, Versicherungsvertreters oder Staubsaugerfachmanns, dem er diesmal ganz ordentlich die Meinung pauken wollte. Schließlich waren nicht aller Ossis solche Trottel, wie diese Wessi-Klingelputzer und ihre einheimischen Helfershelfer glaubten. Voller Grimm riß er die Türe zum Flur auf und bellte den Herrn im feinen Nadelstreifenanzug, Schlips und Sonnenbrille auf der solarium-geröteten Nase fauchend an, ihn dabei in Richtung auf das Treppengeländer schubsend: „Hier wird nichts gekauft! Verfetz dich nach Bamberg oder in das Nest zurück, aus dem du gekrochen kommst, sonst kannst du schwuppdiwupp gleich mal mit einer türchtige Erzgebirgsfaust Bekanntschaft schließen, vermaledeiter Halunke!“

„Aber Vati!“, flüsterte da verstört der elegante, junge Herr, zur gleichen Zeit bemüht, sein Gesicht mit beiden Händen vor den befürchteten Hieben des erbosten Alten zu verstecken, der ihn schon als Jungen in regelmäßigen Abständen zünftig verbleut hatte. Doch da bremste Bruno bereits im allerletzten Moment seinen Verteidigungsangriff ab, um sich den unerwünschten Eindringling noch einmal etwas näher zu betrachten. Diese Kampfpause nutzte der junge Mann, um vorsichtig seine Brille in die Höhe zu schieben - und Bruno stürzte sich mit einem weiteren Satz auf ihn – doch diesmal war es ein Freudenhüpfer, mit dem er seinen zweiten Sohn Anton in die Arme schloß um den endlich wieder Heimgekehrten zu herzen und zu liebkosen.

„Ach mein lieber Junge, welch eine große Freude für einen armen, alten, wehrlosen Mann wie mich, der in den letzten Jahren soviel durchgemacht hat, dich wieder auf meiner Türschwelle begrüßen zu dürfen. Komm doch mit rein, ich hab da einen ganz ausgezeichneten Cognac in meinem Wohnzimmerschrank, den musst du unbedingt mal kosten.“

Anton nahm das freundliche Angebot seines Vaters natürlich sofort an, hatte er doch insgeheim bereits damit gerechnet, bis zum Sonntag Abend bei seinem lieben Alten zu verweilen. Doch ehe er sich zum Imbiss im Wohnzimmer niederließ, zog er seinen Vater zum Küchenfenster, um ihm seinen Nobel-Ferrari, den er gut sichtbar für alle Miethaus-Mitbewohner am Straßenrand geparkt hatte, bewundern zu lassen.

„Wie kommt's denn?“, gurrte Bruno, nun wieder gänzlich mit seinem Mittleren ausgesöhnt. „Es scheint ja ganz so, als ob auch du im Westen einen einträglichen Job gefunden hättest.“

Freudestrahlend beichtete ihm nun Anton, dass er nach seiner Übersiedlung in die BRD eine Ausbildung als Bankkaufmann absolviert habe. Inzwischen habe er es bei der Wittbank bis zum Abteilungsleiter gebracht und ganz gewiss würde es ihm in Bälde gelingen, noch weiter auf der Karriereleiter emporzusteigen, denn er habe sich in die älteste Tochter des Bankchefs verknallt, und mit ein wenig Glück... Anton unterbrach sich, prostete seinem Vater zu und fügte dann lächelnd hinzu: „All das habe ich nur deiner guten Erziehung zu verdanken, Papa. Und jetzt habe ich endlich die Möglichkeit, dir alle deine Mühen redlich heimzuzahlen. Erzähl doch mal, wie steht's denn so mit deinen Finanzen?“

Damit hatte Anton den Vater an seiner empfindlichsten Stelle erwischt, der nun sofort in eine Klageflut ausbrach, die mit dem bitteren Satz endete:

„Daran sind nur die Kommunisten und ihre Helfershelfer schuld! Aber jetzt bis du ja zum Glück wieder da.“

Auch Anton wurde nun zu einer wichtigen Stütze seines alten Vaters, der ein Jahr später in den Vorruhestand geschickt wurde. Durch Antons „financial know-how“ gelang es, Brunos im Schweiße seines Angesichts verdientes Geld in hohe Gewinne versprechende Aktien anzulegen. Nur Idioten würden ihr Geld noch zur Sparkasse bringen, ließ Anton seinen verblüfften Vater wissen, in einer Zeit, in dem die neuen Märkte so enorm boomten.

„Und nur Idioten wie die Erzgebirgler lassen ihr Geld heutzutage nicht arbeiten. Aber das wird sich bei dir ab sofort total ändern, denn ich habe da so meine Connections bei der Börse.“

Es war ein leichtes für Anton, seinen Vater zu der Aufnahme eines sechsstelligen Kredits zum Erwerb einer Eigentumswohnung zu überreden. Dafür steckte er natürlich eine saftige Provision seines Bankhauses ein, von der sein Vater selbstverständlich nichts zu wissen brauchte. Wissen ließ er hingegen dem Alten, dass er auf seinen Jüngsten nicht mehr zählen dürfe, denn der habe die Familienehre ein für allemal in den Dreck getreten und existiere daher für ihn de facto schon lange nicht mehr. Die neugierig flehenden Blicke seines Vaters erweichten schließlich den frisch gebackenen Jungunternehmer und im geflüsterten Ton ließ er ihm also die traurige Kunde über Benno zukommen.

„Stell dir nur mal vor Paps, dein Kleiner hat sich eine Russin geangelt und macht nun Geschäfte im Drogenmilieu und im Frauenhandel. So munkelt man jedenfalls. Und so wie der immer noch aussieht, ist ihm eine solche Schweinerei auch absolut zuzutrauen.“

Bruno fühlte sich derart geschockt von der Nachricht, dass ihm sein Cognacglas aus den Händen entglitt. Doch Anto schenkte ihm gleich noch mal nach.

„Ja, der Benno dealt mit Drogen, und wer weiß, was er sonst noch alles anstellt, der Halodri!“

„Das mit den Weibern und so, das könnte ich ihm ja noch verzeihen“, wisperte da entgeistert Bruno. „Aber eine Russin setzt bei mir gewiß nicht ihre Füsse über die Schwelle!“

Nach zwei weiteren prall gefüllten Gläsern Cognac verfluchte Bruno seinen so arg missratenen Sohn und schwor, dass in seiner Gegenwart niemals mehr von diesem Schuft gesprochen werden dürfe, der mit den Mördern seines Vaters einen solch teuflischen Pakt geschlossen habe. Wer es wagen würde, gegen seinen väterlichen Bann zu verstoßen, werde ebenfalls mit Enterbung bestraft. Anton lobte den mutigen Entschluss seines Vaters und schloß die Debatte mit den weisen Worten:

„Du hast ja immer noch mich und den Gerhard, die dir nun allzeit treu zur Seite stehen werden.“

3

Über fünzehn lange Jahre gingen ins Land, in denen Bruno in seiner bescheidenen Eigentumswohnung lebte, und trotz seines fortgeschrittenen Alters fühlte er sich immer noch gesund und munter. Seine beiden älteren Söhne kümmerten sich weiter fürsorglich um ihn, sei es mit exquisiten Fressereien, sei es mit internen Anlegertips bei der Wittbank. Von seinem Jüngsten, der nun auch schon bald an die vierzig Jahre zählen musste, hatte er in all den Jahren nichts gehört. Die zwei Anrufe und die drei Briefe von ihm, die er sofort vernichtet hatte, ohne sie zu lesen, zählten natürlich nicht.

Da, eines trüben Tages im Herbst, brach das Unglück über Bruno Sorge herein, der doch als Senior bislang so sorgenfrei sein Leben genossen hatte. Als er in den Fernsehnachrichten zum ersten Mal von den Turbulenzen an der Börse hörte, hatte er sich zunächst noch nicht allzuviel dabei gedacht, schließlich hatte ja sein Sohn Anton sein hart erspartes Geld „absolut sicher“ und auf „Vertrauensbasis“ angelegt. Und auch sein Kredit hatte in den letzten anderthalb Jahrzehnten bereits beträchtlich abgenommen, trotz aller Ausgaben für Reisen, Möbel und seine beiden teuren Hobbys, denen er sich mit ganzer Passion widmete, dem Briefmarken- und Münzensammeln. Doch da erschien plötzlich sein Sohn Anton käsebleich in der Tür und berichtete, soeben sei ein „GAU“ über seine Bank hereingebrochen. Sein Juniorchef habe sich in den letzten Jahren mächtig verspekuliert und nun stände man vor dem absoluten Aus, wenn nicht irgendein Wunder geschähe. Aber er hätte ja schon immer zur Vorsicht in Börsengeschäften gemahnt, sei aber nie erhört worden, weder von Senior- und Juniorchef, noch von seiner Angebeteten, die ihn nun schon seit fast zwanzig Jahren immer wieder mit den gleichen nichtssagenden Worten den Korb vors Maul hielt und seine Hoffnungen auf eine Einheirat in die Bankiersfamilie auf den Sanktnimmerleintag hinausschob.

Antons düstere Ankündigung bewahrheitete sich innerhalb kürzester Frist. Brunos Aktien hatten sich über Nacht in wertloses Papier verwandelt und die neue Bank, an die er nun seine Kreditabzahlungen zahlen sollte, erhöhten den Druck immens, bis er mit seinen Ratenzahlungen hoffnungslos in Rückstand geriet. Anton ließ sich seither kaum noch blicken, und wenn er doch einmal kam, dann schwieg er nur düster vor sich hin. So sah sich Bruno schließlich gezwungen, seine geliebte Wohnung aufzugeben und sich eine kleine Anderthalbzimmerwohnung im Ort zu suchen, für deren Miete sein kleine Rente gerade noch reichte. Auch die Wurst- und Fleischlieferungen seines Ältesten Gerhard fanden um die gleiche Zeit ein jähes Ende. Gerhard verlor nämlich seinen Truckerfahrerjob bei „Huber-Spezi“. Vorher war er mehrere Wochen lang wegen seiner kaputten Gelenke krank gewesen, nun hieß es von Seiten des bayerischen Firmeninhabers Hugo Huber, die Ostdeutschen wären allesamt ein „undankbarer Haufen“, die in der letzten Zeit aus lauter Mutwillen nicht mehr konsumieren wollten. Deshalb habe er nun zwei Filialen im Erzgebirge schließen müssen. Es wäre also nur recht und billig, wenn Gerhard als erster Kraftfahrer in seiner Firma seinen Job verlieren würde, schließlich trügen er und seine erzgebirgischen Spießgesellen die Hauptverantwortung für den Einbruch seines ostdeutschen Umsatzes. Gerhard musste sich also umgehend auf dem Amt arbeitslos melden. Da er aber das meiste Geld bei Huber durch Überstunden verdient hatte, fiel seine staatliche Stütze entsprechend gering aus, so dass sie nur ganz knapp für seinen allernötigsten Lebensbedarf und die Alimentezahlungen für seinen unehelichen Sohn ausreichte. Für seinen alten Vater fiel nun nicht einmal mehr das kleinste Krümelchen von der Tischkante.

Auch Brunos Vertrauen in die Volksparteien war gen Nullpunkt gesunken. Insgeheim hielt er es nun mit den Nationalen, den einzigen, die sich seiner Meinung nach noch um das einfache in Not geratene Volk sorgten. Die „Merkeln“ und ihren Komplizen widerten ihn inzwischen so sehr an, dass er jedesmal den Fernseher ausschaltete, wenn sich nur eine einzige von diesen „Krafaten“, wie er sie insgeheim zu nennen beliebte, auf dem Bildschirm blicken ließ. Das selbst erfundene Gleichnis vom „Merkelschen Esel“ hatte er Anton bei seinem letzten Besuch grimmig um die Ohren gehauen, genau berechnend, dass dieses den Banker an einer besonders empfindlichen Stelle treffen mußte.

„Du kennst doch sicherlich noch das Märchen vom Goldesel, dem man nur Heu zu fressen geben braucht, und sogleich scheißt das Vieh Golddukaten aus seinem Hinterteil! Bei dem uns heutzutage regierenden Pack funktioniert das Ganze genau anders herum, musst du wissen. Die nehmen sich einfach unsere Steuergelder und pusten es ihrem Esel, den abgehalfterten Bankbetrügern und Finanzjongleuren, in den Arsch. Was dann vorne bei diesem Teufelsvieh heraus kommt, ist dann aber nicht etwa vergoldet, sondern ganz ordinäre Scheiße, die man dem dummen Volk zu guter Letzt auch noch als Erfolg verkauft. Hahaha! Sind ja bald wieder Wahlen!“

Bruno hatte sich ungewollt zu einem bitteren Lachen hinreißen lassen und musterte nun mit väterliche Strenge seinen Sohn: „Und du, dem ich am meisten von allen meinen Kindern vertraut habe, du hast mich am meisten beschissen! Und jetzt hau bloß ab, ich will dich hier nie mehr sehen.“

Bruno fühlte sich auf einmal alt, verlassen und krank. In seinem großen Elend dachte er bereits daran, sich in den Dorfbach zu stürzen, unterließ es dann aber doch, aus Furcht, er könne sich dabei irgendein wertes Körperteil verrenken. Vorsorglich verfluchte er jedoch seine beiden Söhne Gerhard und Anton, die ihren Vater in der größten Not so schmählich im Stich gelassen hatten und teilte ihnen per Einschreiben mit, dass sie ihres Erbes verlustig gegangen wären, eines Erbes, das sowieso nur aus der Rückzahlung der sich inzwischen angehäuften väterlichen Schulden bestanden hätte. Die beiden undankbaren Söhne akzeptierten daher allzu gerne seinen Entschluss. Der nun offen erklärte Krieg von Seiten des Vaters ermöglichte es ihnen zudem, fortan vollkommen auf Besuche bei ihm zu verzichten. Bruno selbst zog sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück und zog es nun vor, des Abends im Dunkeln bei billigem Schnaps zu dösen. Auf Qualitäts-Cognac hatte er leider schon seit langem verzichten müssen. Bitter bereute er nun auch, dass er sich in all den vielen Jahre nicht im mindesten um seinen jüngsten Sohn Benno gekümmert hatte, seinem Benjamin, den er als strenger Vater immer nur gescholten hatte, obwohl er doch eigentlich immer der beste von den dreien gewesen war. Nun war er aller Wahrscheinlichkeit nach dazu verdammt, einsam und allein seine letzten Lebensjahre in größter Armut fristen zu müssen.

Ein neuer Herbst stand vor der Tür und machte Bruno nur noch trostloser, wie er eh schon war. Da klopfte es eines abends zaghaft an seiner Kleinwohnungszimmertür. Wer sollte ihn so spät am Abend noch besuchen kommen, fragte er sich missmutig, ging dann aber doch zur Tür, um zu öffnen. Vor ihm stand ein braungebrannter Mann mit langem Haar und Jeansklamotten. Vor ein paar Monaten noch hätter er nun angewidert und entsetzt die Türe zugeschlagen, doch nun fragte er den im finsteren Flur stehen gebliebenen Mann mit leiser, von all den erlittenen Sorgen und Demütigungen gedämpften Stimme:

„Tut mir leid. Ich glaube, Sie sind hier nicht richtig. Sie wollen doch sicherlich in die dritte Etage zu Frau Friedmann, die hat häufig abends Männerbesuch.“

„Nein, zu Ihnen wollte ich“, antwortete der Unbekannte und knipste dabei das Korridorlicht an. Bruno glaubte, vor Scham in den Erdboden versinken zu müssen, denn der dunkle Unbekannte der da vor ihm stand, war kein anderer als sein für immer verloren geglaubter jüngster Sohn Benno.

„Benno“, entfuhr es nun dem Alten und er fühlte sich auf einmal so schwach, dass er zu Boden zu sinken drohte. Doch Benno fasste ihm sachte untern Arm und brachte ihn hinein zur Couch, auf der er ihn behutsam niederlegte.

„Benno, mein geliebter Sohn“, flüsterte der Vater entkräftet. „Ich hoffe sehr, du bist nicht gekommen, weil du irgendeine Hilfe brauchst.“

„Aber nein doch, Vater, ich bin gekommen, weil ich mir so große Sorgen um dich gemacht habe und weil...“

Er winkte einer Frau, die inzwischen unbemerkt durch die Zimmertür eingetreten war und sich nun den beiden vorsichtig näherte.

„... und weil es meine Frau Walentina so dringend wünschte,“ fuhr Benno zaghaft fort und wies verlegen auf die Dame an seiner Seite.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Alte von seinem Schwächeanfall so weit erholt hatte, dass man mit einem Gespräch beginnen konnte. Benno erzählte nun, dass er auch seine beiden Kinder mitgebracht hätte. Doch die wären jetzt noch in einem Hotel in der Kreisstadt untergebracht, da er nicht gewusst hätte, auf welche Weise er vom Vater empfangen werden würde. Er öffnete eine Flasche Krimsekt, die er in kluger Voraussicht mitgebracht hatte und es dauerte nicht lange, bis die Lebenskräfte des Alten wieder leidlich hergestellt waren. Noch bis weit in die Nacht hinein hatte man sich eine Menge zu erzählen und man nächsten Morgen kamen auch Juri und Michael mit vorbei, seine „beiden allerliebsten und einzigen Enkel“, wie er sie voller großväterlichem Stolz liebevoll nannte. Auch von der charmanten Walentina war er mit einem Mal entzückt. Augenzwinkernd verriet er ihr nach einer Weile auch den Grund dafür:

„Schon immer hatte ich für die Slawen eine große Schwäche, schon damals, als ich noch Kassierer der „Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ in meinem guen, alten Betrieb war.“

Nun näherte er seinen spitzbübisch zugespitzten Mund ganz diskret Walentinas Ohrmuschel und flüsterte ihr leise zu: „Und außerdem, so ein paar Tropfen russisches Blut in den Adern ist ganz gewiss eine ausgezeichnete Rassenmischung für meine Enkel. Eto otschen choroscho, russkij petrol, hihihi.“

Das waren die einzigen russischen Worte, die Bruno in seinem Gedächtnis bewahrt hatte und Walentina zeigte sich sichtlich erfreut über die guten Russischkenntnisse ihres „allerliebsten Großväterchens“, ihres „dorogoj deduschka“.

4

Womit sein Sohn Benno eigentlich sein Geld verdiente – und er hatte anscheinend mehr als genug davon, wie sich sehr bald herausstellte - das wagte Bruno seinen Jüngsten nicht zu fragen. Wie ein Drogendealer oder Frauenhändler sah er wenigstens nicht aus, deren gemeine Visagen kannte er zur Genüge aus dem Fernsehen. Am meisten freute es den Alten, dass Benno eine Versöhnung des Vaters mit seinen beiden älteren Brüdern Gerhard und Anton durchsetzte. Schon beim nächsten Besuch Bennos wurden sie zum Familienkongress eingeladen und erschienen auch, alle beide noch sichtlich verlegen aber bald auftauend, als sie merkten, dass ihnen anscheinend sowohl der Vater als auch Benno nichts Böses nachtrugen. Bald entwickelte sich eine angeregte Diskussion, die mit dem Beschluss endete, dass nun Benno an der Reihe sei, sein Bestes zu versuchen, um seinen in Not geratenen Vater nebst Brüder aus der Patsche zu verhelfen. Sie versprachen allesamt, sich seinem weisen Ratschlag ohne jedes Wenn und Aber zu unterwerfen und Benno schmunzelte zustimmend, als er vor seinem Aufbruch noch versprach:

„Zunächst einmal braucht unser Vater wieder eine anständige Wohnung. Ich habe da soeben ein kleines Häuschen ausfindig gemacht, das ich ihm für einen guten Preis kaufen werde. Ich selbst habe mir bereits ganz in der Nähe ein großes Grundstück zugelegt, wo mein zukünftiges neues Domizil entstehen soll.“

Gesagt, getan, Benno gelang es wirklich, für einen erstaunlich niedrigen Preis das Häuschen am Wald für seinen Vater zu erwerben, der, nun endlich wieder mit gutem Cognac im Keller versorgt, in den folgenden Wochen sichtlich aufblühte. Aber auch einem Gläschen Wodka war er bisweilen nicht abgeneigt.

„Den brauch ich für meine russifizierte Volksseele“, meinte er dann jedes Mal schmunzelnd zu Walentina, die ihm jedes Mal persönlich eine Halbeliterflasche des berauschenden „Wässerchens“ vorbeibrachte, wenn die alte zur Neige gegangen war.

Auch Bennos Brüdern war das Glück von jetzt ab wieder hold. Nachdem der Mercedes von Hugo Huber, dem Inhaber von „Huber-Spezi“, aus ungeklärten Gründen eines Nachts in Flammen aufgegangen war, wurde Gerhard plötzlich völlig unerwartetet von seinem Ex-Chef zu einem vertraulichen Gespräch nach Bamberg geladen. Gerhard glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als ihm Huber vorschlug, doch Geschäftsführer seiner „Spezi-Filiale“ in Chemnitz zu werden.

„Die boomt zur Zeit gewaltig, seitdem die Japaner erklärt haben, die Marx-Büste kaufen und ein Museum außenherum bauen zu wollen. Da Sie schon immer ein besonders zuverlässiger Mitarbeiter gewesen sind, den ich während des letzten Jahres schmerzlich vermisst habe, bekommen Sie natürlich auch ein anständiges Gehalt. Ihr Ossis seit eben einfach Spitze und im Prinzip unbezahlbar.“

Dem verblüfften Gerhard vertrauensvoll auf die Schulter klopfend fügte er dann noch hinzu: „Natürlich steht Ihnen auch noch ein Scheck wegen Ihrer krankheitsbedingten längeren Abwesenheit von der Firma zu. Ich habe meine Chefsekretärin soeben angewiesen, Ihnen Ihr Geld in den nächsten Tagen zu überweisen.“

Nachdem die Luxusvilla von Max Witt Senior in Montreux durch ein mutmaßliches Attentat der Terrorgruppe „El Qaida“ in Schutt und Asche gelegt worden war, neigte auch der Bankier zu einem versöhnlicheren Ton gegenüber seinem subalternen Mitarbeiter aus dem Osten. Seine Tochter Josephina erschien eines Morgens in voller Schminke in Anton Sorges Büro und gestand ihm unter Tränen, dass sie ihn schon seit vielen Jahren von Herzen geliebt habe. Nun endlich habe ihr störrischer Vater plötzlich seine Meinung geändert, nachdem er nach den unglücklichen Börsenspekulationen seines Sohnes hatte einsehen müssen, dass dieser keinesfalls als Führungspersönlichkeit der Familienbank tauge. Um diese zu retten, gehöre unbedingt ein Erzgebirger an die Spitze des Unternehmens, und dazu sei er, ihr Geliebter, nach reiflicher Überlegung auserkoren worden. Anton akzeptierte nach kurzem Überlegen diese Kür, entkleidete sodann sein Dirndl bis auf die Unterwäsche und überzeugte sie sogleich im Büro gekonnt von seinen echt erzgebirgischen maskulinen Qualitäten. Bereits eine Woche später wurde durch die Regenbogenpresse ihre Verlobung bekannt gegeben und die bevorstehende Umformierung der Wittbank in ein Kartell namens „ Sorge, Witt i Towarischtschi“ verkündet.

Auch was Benno betrifft, lassen sich nur noch positive Dinge berichten. Nach seinem Eintritt in die seit langer Zeit regierende, mitllerweile aber ziemlich schwächelnde Volkspartei entwickelte er sich schnell zu einer der wichtigsten kulturellen und wirtschaftlichen Förderer seiner erzgebirgischen Heimatregion. Bei den nächsten Wahlen wurde er mit überwältigender Mehrheit zum neuen Dorfbürgermeister gewählt, nachdem sein Vorgänger nach einem Paddelbootunfall auf eine weitere Legislaturperiode hatte verzichten müssen. Vor seinem Abgang lobte er jedoch noch in überschwänglichen Tönen seinen überaus fähigen Nachfolger Benno Sorge in der Lokalpresse, der gewisslich „ohne alle Sorgen“ seine Heimatgemeinde zu einer neuen Blüte verhelfen werde, die er ja selbst mit vorbereitet habe. Auch Benno dankte seinem Vorgänger mit gemessenen Worten für seine geleistete anerkennungswerte Arbeit. Nach seiner Thronbesteigung ließ er sogleich aus privaten Geldmitteln ein Spielcenter für die Dorfjugend errichten, das sich bald zu einem in der ganzen Region beliebten Kulturzentrum entwickelte. Zur gleichen Zeit wurde unter seiner Regie ein weiteres Autohaus für preiswerte Fahrzeuge aus russischer Produktion erbaut, das bald allen weiteren Autohäusern vor Ort den Rang ablief. Mit der Verwaltung des florierenden Unternehmens wurde Bennos Amtsvorgänger Seidel beauftragt. Auch der sich zunächst skeptisch-abwartend verhaltende Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde konnte nach einiger Zeit von Benno gleichgeschalten werden. Durch ein neues Kirchendach erkaufte sich der neue Bürgermeister den Segen und Ablass des Klerus, der sich auch auf alle seine zukünftigen Projekte erstrecken sollte. Als nächstes entstand ein dreigeschossiges Asylantenheim sowie eine kleine Moschee auf dem Schwalbenberg. Dadurch flossen eine Unmenge an Steuergeldern in das erzgebirgische Dorf. Durch den enornen Zustrom von muslimischen Pilgern, darunter der Scheich von Dubai und der Stadtfürst von Kabul, erlebte das Tourismusgewerbe vor Ort einen gewaltigen Boom. Dass der Steinbergwald abgeholzt werden musste, um den frommen Pilgern eine bessere Sicht gen Mekka zu ermöglichen, störte niemanden, und selbst der NPD-Ortsvorsitzende Paul Gimpel, ein passionierter Schrotthändler und Karnickezüchter, bekannte sich schließlich zum Internationalismus, konvertierte zum sunnitischen Glauben und nannte sich fortan Abu Simbel.

Doch nicht nur auf die Wohlfahrt seiner Heimatgemeinde war Bennos segensreiches Wirken begrenzt. Gemeinsam mit einem Konsortium übernahm er die Aktienmehrheit der inzwischen niedergewirtschafteten Arsenwerke in der Kreisstadt. Unter dem Namen „Sonnenschein AG“ produzierte die neu formierte Firma nun Blei, Nickel sowie Quecksilber für Fieberthermometer für die Dritte Welt. Auf diese Weise konnten über 200 neue Arbeitsplätze für die von der Krise so arg gebeutelte Region geschaffen werden. Ein etwa 150 Meter hoher neuer Schornstein kündet seither vom Ruhm Benno Sorges und des von ihm wieder auf die Beine gebrachten metallurgischen Gewerbes.

Bald darauf traten Gerüchte auf, Benno solle als neuer Kandidat für das sächsische Ministerpräsidentenamt aufgestellt werden, da die regierende Volkspartei keinen besseren Mann kenne, um den Freistaat aus der Krise zu retten, nachdem sich alle „Helfer aus dem Westen“ nach ihrer Entarnung als Spione oder Stümper zurück in ihre Heimat geflüchtet hatten, ein politisches Chaos hinter sich lassend. Benno dementierte jedoch auf seine betont bescheidene Art dieses von der Presse gestreute Gerücht, stellte aber klar, dass er sich trotzdem bei seinen Moskauer Freunden dafür einsetzen wolle, dass die Ölpreise in Sachsen halbiert würden, natürlich unter der Voraussetzung, dass sich alle sächsischen Soldaten binnen vier Wochen aus Afghanistan zurückziehen müssten. Dem wurde durch eine eilig einberufene Krisensitzung der regierenden Volkspartei einstimmig zugestimmt und das Versprechen hinzugefügt, ab dem nächsten Schuljahr wieder Russisch als erstes Fremdsprachenfach an allen Schulen des Freistaates einzuführen. Die dafür benötigten russischen Lehrer sollen dafür umgehend aus dem Ural eingeflogen werden.

Was soll ich Euch noch Bewundernswertes weiter berichten, alle Erzgebirger und Sachsen sind nun wieder voller Hoffnung und Freude und die Arbeitsämter im Freistaat haben beschlossen, zum Jahreswechsel ihre Arbeit einzustellen, da es viel kostensparender sei, allen Arbeitslosen 1000 € pro Monat plus Wohngeld bar auf die Hand zu zahlen. Noch ein kleines Geheimnis sei den Lesern ganz zum Schluß verraten: Als großer Fan der Krippeliefern nahm Benno vor kurzem auch die Krippelkiefern unter Vertrag, um ihnen den schon längst verdienten musikalischen Weltmarkt zu erschließen. Dieter Bohlen und „de Randfichten“ die sich seit kurzem ebenfalls unter dem Vertrag des Allroundgenies befinden, sollen in den nächsten Jahren nur noch Krippelkiefer-Coversongs in der Öffentlichkeit vortragen dürfen, um das deutsche Volk vor einem weiteren musikalischen Niedergang zu bewahren. Damit verlassen wir unsere Helden Bruno, Gerhard, Anton, Benno und Walentina Sorge nebst ihren Kindern. Und wenn sie noch nicht gestorben sind, dann leben sie vielleicht auch noch eine ganzes Weilchen.

Montag, 1. Juni 2009

Offener Brief zu den umweltzerstörerischen Plänen des Zschorlauer Gemeinderates

Gemeindeamt Zschorlau
Z.H. Herrn Bgm. Leonhardt

Berlin i.Erzg., den 1. Juni 2009,

Offener Brief zu den umweltzerstörerischen Plänen des Zschorlauer Gemeinderates

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderates,

Dass ich mich dieses Mal in Form eines Offenen Briefes an Sie wende, hat zwei gewichtige Gründe. Zum einen warte ich noch immer auf Antwort auf meine Eingabe vom 22. September 2003 an den Gemeinderat, meine Beschwerde die willkürliche Schließung öffentlicher Wege betreffend. Auch wenn ich als Exilerzgebirger momentan dazu gezwungen bin, in der Diaspora in Berlin auszuharren, nehme ich mir das Recht heraus, ein gewichtiges Wörtchen in all den Angelegenheiten mitzusprechen, die meine Heimat, das Erzgebirge, betreffen. Geht es dann auch noch um die Zerstörung gefährdeter Naturreservoire, dann wird dieses von mir beanspruchte Recht sogar zur demokratisch legitimierten staatsbürgerlichen Pflicht.
Zum anderen stehen in diesem Jahr noch Wahlen ins Haus. In einer Zeit, in der die herrschenden Parteien immer kaltblütiger die Rechte der Bürger beschneiden, erscheint es mir besonders wichtig, das Volk über das Treiben der sie Regierenden – in diesem Falle über die seit Menschengedenken herrschende Dorfobrigkeit in Zschorlau – kritisch zu informieren. Die Schaffung von Öffentlichkeit, die Ermutigung zur Zivilcourage, sind unabdingbare Bestandteile einer demokratischen Streitkultur, ohne die unsere Gesellschaft unweigerlich wieder in diktatorische Zustände zurückfallen würde. In Falle des Dorfes Zschorlau wäre dies natürlich kein „Rückfall“, denn hier laufen die Uhren anscheinend anders. Die kaltschnäuzige Art, mit der oppositionelle Stimmen im Gemeinderat „niedergeknüppelt“ werden, deutet darauf hin, dass man sich noch immer nicht des mit der Wende 1989/90 einhergegangenen demokratischen Wandlungsprozesses bewusst geworden ist. Vielleicht handelt es sich hierbei aber auch nur um einen Ausdruck von Arroganz, den sich eine Partei zu leisten getraut, die seit beinahe zwei Jahrzehnten ohne jegliche ernst zu nehmende politische Konkurrenz schalten und walten kann, wie es ihr gutdünkt. Der daraus resultierenden Politikverdrossenheit möchte ich mit diesem Schreiben ebenfalls gegensteuern. Liebe Bürger überlegt es euch genau, welchem Parteikandidaten ihr dieses Mal eure Stimme gebt! Es sind eure Repräsentanten, die sich eurem Wählerwillen zu beugen haben und im Falle nicht eingehaltener Wahlversprechen streng zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Ehe ich mich noch ein wenig mehr über die desolaten politischen Zustände in unserem Lande auszulassen gedenke, zunächst einmal zum Hauptanliegen meines Briefes, die geplante Zerstörung eines erzgebirgischen Biotops:
Voller Bestürzung erfuhr ich nämlich von den Plänen der Gemeinde Zschorlau, auf einer 7,88 ha großen Fläche des ehem. Armeegeländes ein Industriegebiet zu errichten. Als Vorwand hierfür wurde das Bestreben angegeben, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es sei mir erlaubt, an dieser naiven (oder sollte ich lieber formulieren: scheinheiligen) Argumentation ernsthafte Zweifel zu hegen. Eine Steigerung der Anzahl der Autohäuser wird wohl kaum dazu beitragen können, die katastrophale Lage der deutschen Autoindustrie zu verbessern, liebe Opelianer und Opelianerinnen! Die seit 1990 stetig zunehmenden Brachen ehemals blühender Wirtschaftsstandorte, die seither durchgeführten und noch längst nicht zu einem Abschluss gekommenen Abbruchmaßnahmen von Wohnhäusern und Fabrikanlagen, lassen mich logisch schlussfolgern, dass mit einer weiteren Zerstörung der gefährdeten erzgebirgischen Natur durch Seifenblasen-Projekte keinesfalls ein wirtschaftlicher Aufschwung erreicht werden kann. Vielmehr regt sich in mir der klammheimliche Verdacht, dass es sich in solchen Fällen gewöhnlich um populistisch motivierte oder gar als betrügerisch zu bezeichnende Manöver handelt, mit der die für dumm verkaufte Bevölkerung hintergangen werden soll. Ob im betreffenden Fall auch Überlegungen eine Rolle gespielt haben, die den forcierten Bau der B 93n gegen den Willen vieler engagierter und enragierter Bürger quasi durch das Hintertürchen durchsetzen sollen oder ob es geheime private Wirtschaftsinteressen gibt, die auf die Entscheidung des Zschorlauer Gemeinderates Einfluss genommen haben, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter diskutieren. Nur eines ist letztendlich wichtig: Es ist ein Trugschluss, sich neue Arbeitsplätze durch solche umweltzerstörerischen Projekte zu erhoffen. Die dabei evtl. herausspringenden Profite werden in den Taschen der Wirtschaftsmafia verschwinden, die sich einen Dreck um die Belange der Menschen des Erzgebirges kümmert. Wem seine Heimat wirklich am Herzen liegt, der sollte sich viel lieber dafür einsetzen, dass unsere Natur erhalten und geschützt wird. In Zeiten stetig steigender Spritpreise, die es vielen Menschen bereits heute nicht mehr ermöglicht, kostspielige Reisen in die weite Ferne anzutreten, stellt das Erzgebirge ein ideales Naherholungsgebiet dar. Steigende Beschäftigungszahlen in der Tourismus- und Gastronomiebranche könnten auf diese Weise in Zukunft geschaffen werden, vorausgesetzt, es wird dann noch eine intakte Natur im Erzgebirge existieren.

„Arzgebirch wie bis du schie“, „Griß Gott mei Arzgebirch“ oder auch „Wu de Walder hamisch rauschen“ klingt es durch die Täler und Auen der Gebirges, doch hüllt sich auch der Erzgebirgsverein in Schweigen, von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, denen ich hiermit meine Hochachtung aussprechen möchte. Ich argwöhne, dass auch hier Agenten der herrschenden Klasse ihr Unwesen treiben und klare Stellungsnahmen verhindern. Soll die Liebe zur Heimat nicht zum schnöden Selbstbetrug herabsinken, so muss auch der Widerstand aus den Kreisen der Heimatfreunde und Kulturschaffenden unserer Region verstärkt werden, ohne Rücksicht auf falsche Verbündete.

Doch zurück zu meiner geliebten Heimatgemeinde Zschorlau, die meiner Ansicht nach als ein typisches Beispiel der fortschreitenden Dekadenz innerhalb der deutschen Gesellschaft gelten kann. En miniature kann man hier das diktatorische Gehabe der sogenannten Bürgerpartei CDU nachvollziehen, die zumindest im Sächsischen auf lange Sicht keine ernsthafte Opposition zu befürchten hat. Wehe dem, der es wagt, sich nicht gleichschalten zu lassen! Das Rätsel des mysteriösen politischen Langzeiterfolges der regionalen CDU ist indes ganz einfach zu entschlüsseln. Viele Dörfller glauben bis heute noch, das „C“ im Parteinamen hätte irgendetwas mit der „christlichen“ Motivation der Partei zu tun. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, sollten auch einige Pharisäer im Dorfrat das Gegenteil behaupten. Was diese Scheinheiligen betrifft, so handelt es sich dabei um eine besonders schlimme Form von Umweltschändern. Mit der Bibel unter dem Arm fällten sie die Bäume, die ihrem Gotteshaus Schatten spendeten, weil sie von einem Kleinmut besessen sind, der ihnen das letzte Fünkchen Gottvertrauen raubt. Indes, kein Zornesblitz Gottes ist in ihrem Falle zu befürchten, denn dafür gebärden sie sich einfach zu lächerlich. Doch bleibt zumindest zu hoffen, dass sie sich diesen Sommer einen tüchtigen Sonnenstich holen werden, auf dass ihr Gehirn erleuchtet werde. Würde man von ihnen fordern, den ganzen Steinberg plattzuwalzen, sie würden es freudigen Herzen tun und dabei noch lauthals „Hosianna“ singen. Ach ihr Kleingläubigen, ihr dünkt euch als wer weiß was für erhaben, dabei seit ihr bereits genauso dem Mammon verfallen wie eure Komplizen aus der CDU, die Jesus Christus ganz gewiss nicht wählen würde. Er könnte ja nicht einmal bis zu euch vordringen, da er heutzutage als Palästinenser sowieso nicht die geringste Chance hätte, im ach so christlichen Deutschland Asyl zu erhalten. Tanzt brav weiter um das „goldene Kalb“, denn in Wahrheit seid ihr doch viel materialistischer eingestellt, wie es die Stalinisten jemals waren.
Auch was das „D“ im Parteinamen der CDU betrifft, wage ich ernsthafte Zweifel zu äußern. Über die zunehmende Ignoranz des Volkswillens ist sich ein jeder klar, der noch nicht völlig gleichgeschalten wurde. Der politisch mündige Staatsbürger wird zum unpolitischen Konsumenten degradiert, der durch die drei materiellen Säulen unserer Gesellschaft - das Auto, das Fernsehen und das Fressen – blöd und bei der Stange gehalten wird. Anstand, Moral und die noch vereinzelt auftretende Zivilcourage werden mit immer größerer Häme verfolgt oder sogar gerichtlich belangt. Genauso rücksichtslos, wie mit dem „Humankapital (die neoliberale Bezeichnung für arbeitsfähige Exemplare des „homo sapiens“) umgesprungen wird, genauso rücksichtslos und profitgeil geht man mit unserer Natur um. Womit der Kreis geschlossen wäre.

Damit es nicht heißt, ich würde hier nur meinen überschüssigen Gallensaft ablassen, ohne überhaupt zu wissen, über was ich spreche, zum Schluss noch einige konstruktive Vorschläge, den geplanten „Industriestandort“ betreffend.
1. Um die letzten Reste von Natur in unserer Heimatregion zu bewahren, sollte die gesamte Hochfläche zwischen Zschorlau, Burkhardtsgrün und dem Filzteich zum Naturschutzgebiet erklärt werden.
2. Die Gemeinde Zschorlau sollte die Patenschaft über das zu schaffende Naturschutzgebiet übernehmen. Das würde den Ort zwar nicht finanziell, dafür aber moralisch ungemein reicher machen.
3. In dem zu schaffenden Naturschutzgebiet sollte ein Naturlehrpfad angelegt werden. Dafür könnten Arbeitskräfte aus der Region (evtl. auf ABM-Basis) angestellt werden, womit auch das vorgeschobene Arbeitsproblem gelöst werden würde.
4. Das hierfür benötigte Geld sollte durch die Umdisponierung der geplanten Summen für die beiden Trugprojekte „B 93n“ und „Gewerbegebiet Zschorlau“ gewonnen werden.
5. Neben dem zu erhoffenden Anstiegs der Tourismusbranche sollte das Gebiet für Exkursionen aus Schulen der näheren Umgebung, aber auch aus den städtischen Großzentren, genutzt werden, um die Schüler für ökologische und Umweltprobleme zu sensibilisieren.
6. In den Kirchen Zschorlaus sollten regelmäßige Kollekten für den Erhalt der erzgebirgischen Natur gesammelt werden. In der Landeskirchlichen Gemeinschaft sollten zudem noch Gebete um göttlichen Beistand mit gedoppeltem Eifer gen Himmel gesandt werden, um Ablass für die geleisteten Irrungen zu erreichen.
7. Sollte es sich wirklich als notwendig erweisen, neue Industriestandorte in der Region zu errichten, sollte dies gefälligst auf bereits zuvor industriell genutzten Brachflächen geschehen.
8. Sollte all dies durch die Gemeinde Zschorlau in die Wege geleitet werden, so plädiere ich hiermit für eine Auszeichnung des Ortes als „vorbildliche ökologische Gemeinde im Freistaat Sachsen“.

Lieber Herr Bgm. Leonhardt, liebe Mitglieder des Gemeinderates, bitte nehmt mir meine freien Worte nicht allzu übel. Ich möchte damit niemandem persönlich auf den Schlips getreten wissen, mit Ausnahme der Pharisäer. Ausserdem würde ich mich riesig freuen, mit Ihnen, Herr Bürgermeister, nach Ihrer Abdankung einmal ein gemütliches Bierchen trinken zu gehen, um mich mit Ihnen ein wenig über die aktuelle Weltlage auszutauschen, dabei womöglich einen der zwischenzeitlich gesperrten Wege im Dorf benutzend.

Mit freundlichen Grüßen und einem zünftigen Glückauf

der Exil-Zschorlauer und Trotz alledem-Erzgebirger Stefan Sterni Mösch,
Mitglied der Krippelkiefern