Montag, 1. Juni 2009

Offener Brief zu den umweltzerstörerischen Plänen des Zschorlauer Gemeinderates

Gemeindeamt Zschorlau
Z.H. Herrn Bgm. Leonhardt

Berlin i.Erzg., den 1. Juni 2009,

Offener Brief zu den umweltzerstörerischen Plänen des Zschorlauer Gemeinderates

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderates,

Dass ich mich dieses Mal in Form eines Offenen Briefes an Sie wende, hat zwei gewichtige Gründe. Zum einen warte ich noch immer auf Antwort auf meine Eingabe vom 22. September 2003 an den Gemeinderat, meine Beschwerde die willkürliche Schließung öffentlicher Wege betreffend. Auch wenn ich als Exilerzgebirger momentan dazu gezwungen bin, in der Diaspora in Berlin auszuharren, nehme ich mir das Recht heraus, ein gewichtiges Wörtchen in all den Angelegenheiten mitzusprechen, die meine Heimat, das Erzgebirge, betreffen. Geht es dann auch noch um die Zerstörung gefährdeter Naturreservoire, dann wird dieses von mir beanspruchte Recht sogar zur demokratisch legitimierten staatsbürgerlichen Pflicht.
Zum anderen stehen in diesem Jahr noch Wahlen ins Haus. In einer Zeit, in der die herrschenden Parteien immer kaltblütiger die Rechte der Bürger beschneiden, erscheint es mir besonders wichtig, das Volk über das Treiben der sie Regierenden – in diesem Falle über die seit Menschengedenken herrschende Dorfobrigkeit in Zschorlau – kritisch zu informieren. Die Schaffung von Öffentlichkeit, die Ermutigung zur Zivilcourage, sind unabdingbare Bestandteile einer demokratischen Streitkultur, ohne die unsere Gesellschaft unweigerlich wieder in diktatorische Zustände zurückfallen würde. In Falle des Dorfes Zschorlau wäre dies natürlich kein „Rückfall“, denn hier laufen die Uhren anscheinend anders. Die kaltschnäuzige Art, mit der oppositionelle Stimmen im Gemeinderat „niedergeknüppelt“ werden, deutet darauf hin, dass man sich noch immer nicht des mit der Wende 1989/90 einhergegangenen demokratischen Wandlungsprozesses bewusst geworden ist. Vielleicht handelt es sich hierbei aber auch nur um einen Ausdruck von Arroganz, den sich eine Partei zu leisten getraut, die seit beinahe zwei Jahrzehnten ohne jegliche ernst zu nehmende politische Konkurrenz schalten und walten kann, wie es ihr gutdünkt. Der daraus resultierenden Politikverdrossenheit möchte ich mit diesem Schreiben ebenfalls gegensteuern. Liebe Bürger überlegt es euch genau, welchem Parteikandidaten ihr dieses Mal eure Stimme gebt! Es sind eure Repräsentanten, die sich eurem Wählerwillen zu beugen haben und im Falle nicht eingehaltener Wahlversprechen streng zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Ehe ich mich noch ein wenig mehr über die desolaten politischen Zustände in unserem Lande auszulassen gedenke, zunächst einmal zum Hauptanliegen meines Briefes, die geplante Zerstörung eines erzgebirgischen Biotops:
Voller Bestürzung erfuhr ich nämlich von den Plänen der Gemeinde Zschorlau, auf einer 7,88 ha großen Fläche des ehem. Armeegeländes ein Industriegebiet zu errichten. Als Vorwand hierfür wurde das Bestreben angegeben, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es sei mir erlaubt, an dieser naiven (oder sollte ich lieber formulieren: scheinheiligen) Argumentation ernsthafte Zweifel zu hegen. Eine Steigerung der Anzahl der Autohäuser wird wohl kaum dazu beitragen können, die katastrophale Lage der deutschen Autoindustrie zu verbessern, liebe Opelianer und Opelianerinnen! Die seit 1990 stetig zunehmenden Brachen ehemals blühender Wirtschaftsstandorte, die seither durchgeführten und noch längst nicht zu einem Abschluss gekommenen Abbruchmaßnahmen von Wohnhäusern und Fabrikanlagen, lassen mich logisch schlussfolgern, dass mit einer weiteren Zerstörung der gefährdeten erzgebirgischen Natur durch Seifenblasen-Projekte keinesfalls ein wirtschaftlicher Aufschwung erreicht werden kann. Vielmehr regt sich in mir der klammheimliche Verdacht, dass es sich in solchen Fällen gewöhnlich um populistisch motivierte oder gar als betrügerisch zu bezeichnende Manöver handelt, mit der die für dumm verkaufte Bevölkerung hintergangen werden soll. Ob im betreffenden Fall auch Überlegungen eine Rolle gespielt haben, die den forcierten Bau der B 93n gegen den Willen vieler engagierter und enragierter Bürger quasi durch das Hintertürchen durchsetzen sollen oder ob es geheime private Wirtschaftsinteressen gibt, die auf die Entscheidung des Zschorlauer Gemeinderates Einfluss genommen haben, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter diskutieren. Nur eines ist letztendlich wichtig: Es ist ein Trugschluss, sich neue Arbeitsplätze durch solche umweltzerstörerischen Projekte zu erhoffen. Die dabei evtl. herausspringenden Profite werden in den Taschen der Wirtschaftsmafia verschwinden, die sich einen Dreck um die Belange der Menschen des Erzgebirges kümmert. Wem seine Heimat wirklich am Herzen liegt, der sollte sich viel lieber dafür einsetzen, dass unsere Natur erhalten und geschützt wird. In Zeiten stetig steigender Spritpreise, die es vielen Menschen bereits heute nicht mehr ermöglicht, kostspielige Reisen in die weite Ferne anzutreten, stellt das Erzgebirge ein ideales Naherholungsgebiet dar. Steigende Beschäftigungszahlen in der Tourismus- und Gastronomiebranche könnten auf diese Weise in Zukunft geschaffen werden, vorausgesetzt, es wird dann noch eine intakte Natur im Erzgebirge existieren.

„Arzgebirch wie bis du schie“, „Griß Gott mei Arzgebirch“ oder auch „Wu de Walder hamisch rauschen“ klingt es durch die Täler und Auen der Gebirges, doch hüllt sich auch der Erzgebirgsverein in Schweigen, von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, denen ich hiermit meine Hochachtung aussprechen möchte. Ich argwöhne, dass auch hier Agenten der herrschenden Klasse ihr Unwesen treiben und klare Stellungsnahmen verhindern. Soll die Liebe zur Heimat nicht zum schnöden Selbstbetrug herabsinken, so muss auch der Widerstand aus den Kreisen der Heimatfreunde und Kulturschaffenden unserer Region verstärkt werden, ohne Rücksicht auf falsche Verbündete.

Doch zurück zu meiner geliebten Heimatgemeinde Zschorlau, die meiner Ansicht nach als ein typisches Beispiel der fortschreitenden Dekadenz innerhalb der deutschen Gesellschaft gelten kann. En miniature kann man hier das diktatorische Gehabe der sogenannten Bürgerpartei CDU nachvollziehen, die zumindest im Sächsischen auf lange Sicht keine ernsthafte Opposition zu befürchten hat. Wehe dem, der es wagt, sich nicht gleichschalten zu lassen! Das Rätsel des mysteriösen politischen Langzeiterfolges der regionalen CDU ist indes ganz einfach zu entschlüsseln. Viele Dörfller glauben bis heute noch, das „C“ im Parteinamen hätte irgendetwas mit der „christlichen“ Motivation der Partei zu tun. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, sollten auch einige Pharisäer im Dorfrat das Gegenteil behaupten. Was diese Scheinheiligen betrifft, so handelt es sich dabei um eine besonders schlimme Form von Umweltschändern. Mit der Bibel unter dem Arm fällten sie die Bäume, die ihrem Gotteshaus Schatten spendeten, weil sie von einem Kleinmut besessen sind, der ihnen das letzte Fünkchen Gottvertrauen raubt. Indes, kein Zornesblitz Gottes ist in ihrem Falle zu befürchten, denn dafür gebärden sie sich einfach zu lächerlich. Doch bleibt zumindest zu hoffen, dass sie sich diesen Sommer einen tüchtigen Sonnenstich holen werden, auf dass ihr Gehirn erleuchtet werde. Würde man von ihnen fordern, den ganzen Steinberg plattzuwalzen, sie würden es freudigen Herzen tun und dabei noch lauthals „Hosianna“ singen. Ach ihr Kleingläubigen, ihr dünkt euch als wer weiß was für erhaben, dabei seit ihr bereits genauso dem Mammon verfallen wie eure Komplizen aus der CDU, die Jesus Christus ganz gewiss nicht wählen würde. Er könnte ja nicht einmal bis zu euch vordringen, da er heutzutage als Palästinenser sowieso nicht die geringste Chance hätte, im ach so christlichen Deutschland Asyl zu erhalten. Tanzt brav weiter um das „goldene Kalb“, denn in Wahrheit seid ihr doch viel materialistischer eingestellt, wie es die Stalinisten jemals waren.
Auch was das „D“ im Parteinamen der CDU betrifft, wage ich ernsthafte Zweifel zu äußern. Über die zunehmende Ignoranz des Volkswillens ist sich ein jeder klar, der noch nicht völlig gleichgeschalten wurde. Der politisch mündige Staatsbürger wird zum unpolitischen Konsumenten degradiert, der durch die drei materiellen Säulen unserer Gesellschaft - das Auto, das Fernsehen und das Fressen – blöd und bei der Stange gehalten wird. Anstand, Moral und die noch vereinzelt auftretende Zivilcourage werden mit immer größerer Häme verfolgt oder sogar gerichtlich belangt. Genauso rücksichtslos, wie mit dem „Humankapital (die neoliberale Bezeichnung für arbeitsfähige Exemplare des „homo sapiens“) umgesprungen wird, genauso rücksichtslos und profitgeil geht man mit unserer Natur um. Womit der Kreis geschlossen wäre.

Damit es nicht heißt, ich würde hier nur meinen überschüssigen Gallensaft ablassen, ohne überhaupt zu wissen, über was ich spreche, zum Schluss noch einige konstruktive Vorschläge, den geplanten „Industriestandort“ betreffend.
1. Um die letzten Reste von Natur in unserer Heimatregion zu bewahren, sollte die gesamte Hochfläche zwischen Zschorlau, Burkhardtsgrün und dem Filzteich zum Naturschutzgebiet erklärt werden.
2. Die Gemeinde Zschorlau sollte die Patenschaft über das zu schaffende Naturschutzgebiet übernehmen. Das würde den Ort zwar nicht finanziell, dafür aber moralisch ungemein reicher machen.
3. In dem zu schaffenden Naturschutzgebiet sollte ein Naturlehrpfad angelegt werden. Dafür könnten Arbeitskräfte aus der Region (evtl. auf ABM-Basis) angestellt werden, womit auch das vorgeschobene Arbeitsproblem gelöst werden würde.
4. Das hierfür benötigte Geld sollte durch die Umdisponierung der geplanten Summen für die beiden Trugprojekte „B 93n“ und „Gewerbegebiet Zschorlau“ gewonnen werden.
5. Neben dem zu erhoffenden Anstiegs der Tourismusbranche sollte das Gebiet für Exkursionen aus Schulen der näheren Umgebung, aber auch aus den städtischen Großzentren, genutzt werden, um die Schüler für ökologische und Umweltprobleme zu sensibilisieren.
6. In den Kirchen Zschorlaus sollten regelmäßige Kollekten für den Erhalt der erzgebirgischen Natur gesammelt werden. In der Landeskirchlichen Gemeinschaft sollten zudem noch Gebete um göttlichen Beistand mit gedoppeltem Eifer gen Himmel gesandt werden, um Ablass für die geleisteten Irrungen zu erreichen.
7. Sollte es sich wirklich als notwendig erweisen, neue Industriestandorte in der Region zu errichten, sollte dies gefälligst auf bereits zuvor industriell genutzten Brachflächen geschehen.
8. Sollte all dies durch die Gemeinde Zschorlau in die Wege geleitet werden, so plädiere ich hiermit für eine Auszeichnung des Ortes als „vorbildliche ökologische Gemeinde im Freistaat Sachsen“.

Lieber Herr Bgm. Leonhardt, liebe Mitglieder des Gemeinderates, bitte nehmt mir meine freien Worte nicht allzu übel. Ich möchte damit niemandem persönlich auf den Schlips getreten wissen, mit Ausnahme der Pharisäer. Ausserdem würde ich mich riesig freuen, mit Ihnen, Herr Bürgermeister, nach Ihrer Abdankung einmal ein gemütliches Bierchen trinken zu gehen, um mich mit Ihnen ein wenig über die aktuelle Weltlage auszutauschen, dabei womöglich einen der zwischenzeitlich gesperrten Wege im Dorf benutzend.

Mit freundlichen Grüßen und einem zünftigen Glückauf

der Exil-Zschorlauer und Trotz alledem-Erzgebirger Stefan Sterni Mösch,
Mitglied der Krippelkiefern

2 Kommentare:

BM hat gesagt…

Es gibt den Satz
"Wer der Herde nachluäft sieht nur die Arschlöcher"
Dies tifft für Zsch.. voll zu. Der Beitrag ist sonst gut.

Anthon Günther hat gesagt…

Das sind doch mal klare Worte, die man in der heutigen Gesellschaft sehr selten vernimmt. Schließlich muss man ja damit rechnen, aufgrund seiner Meinungsäußerung wegen Verleumdung, übler Nachrede oder gar Beleidigung zur Rechenschaft gezogen zu werden :-) Sterni, mach weiter so.